Anna Wirthin

Anna Wirthin – niemer kännt dich
Bisch vo Freudeschtadt de Schwarzwald ab choo
Dräck am Schtäcke – und nüüt z ässe
Z Schafuuse händs dich im Riihof ufgnoo

Anna Wirthin – bisch e Schööni
Hööchi Häre händ es Aug uf dich gha
Mäng eine schliicht drum, wän andri schlooffed
Zum Riihof abe, ums luschtig mit dir z haa

Ref I
Es sind Häxe, wo Hagelschtürm bringed
Es sind Häxe, wo z Nacht bim Tüüfel liged
Es sind Häxe, wo als Hase erschiined
Sich, wänns si mo, au als Chatze zäiged

Anna Wirthin – jede kännt dich hüt
Bisch nopmänt de ganze Schtadt bekannt
Unne im Riihof chömeds go bade
Di fäine Häre, suuber und galant

Anna Wirthin – chasch nid schwige?
Phaalts für dich – es goot neemert nüüt aa
So chas nid guet goo, s tarfs käine wüsse
Din Gascht im Riihof isch en aagseene Maa
Oder: Din Gascht im Riihof: en aagseene Maa

Ref II
D Chüe träged käi Chälber me us
Und de Emmer will nid riiffe
Es Gras hört uuf mit Wachse
Und d Vögel ghäied wie Schtäi vom Himmel

Brugg
Anna, Anna, Anna, Anna, Anna schpil nid z lang mit em Füür
Anna, Anna, Anna, Anna, Anna es isch dir sälber nid ghüür

Anna Wirthin – e Schuldigi wird gsuecht
E miisi Äärn und de Hagel bringed Noot
Du wirsch verzelle, wohär de Näbel chunt
En schtränge Richter wäiss genau wie da goot

Anna Wirthin – Tood dur s Füür
S Verhöör isch lang, bluetig und hert
Wirsch begnaadiget, si lönd dich nid bränne
Zmitts im Novämber zieht de Hänker sis Schwärt

Gschafuuseret:

Schafuuse, 1653

De driissgjöörig Chrieg isch sit füüf Joor verbii, und so au de wirschaftlich Hoochflug vo üser Gägend. Wäred em driissgjöörige Chrieg (1618 bis 1648), wo vor allem i Tüütschland gwüetet hät, händ d Schwiizer Puure ires Chorn und Vä mit groossem Gwünn chöne i di verwüeschtete Gebiet lifere. I de druf folgände Fridensziit sind d Priis wider zämeghäit, d Ziislaschte für uufgnoos Kapitaal sind aber di gliiche plibe.

Am 2. Dezämber 1652 hät d Schtadt Bäärn de Chupferbatze um 50 % abgwärtet. D Obrigkeit hät e Frischt vo nu dräi Täg gsetzt, zum d Chupfermünze zum aalte Wächselkurs gäge stabiileri Gold- oder Silbermünze umtausche. Drum händ nid vill Lüüt chöne da Umtuuschangebot bruuche. Vil vo de Untertaane, psunders die uf em Land, händ uf äin Schlag d Helfti vo irem Vermöge verloore. Anderi Ort i de damalige Äidgenosseschaft sind em Bäärner Biischpil gfolgt und händ au abgwärtet. So isch es 1653 zum ene groosse Ufschtand choo, em Schwiizerische Puurechrieg. Dä hät im Äntlebuch aagfange und hät sich schnäll auf s ganz Bäärnpiet, de Aargau, s Soloturnisch und s Baselpiet usbräitet. D Tagsatzig aber hät pschlosse, de Forderinge vo de Puuern nid noozgee.

D Folg isch e Landsgmäind i Huttwil gsii, wo sich tuusigi vo Puure troffe händ.
D Puure i de Oscht- und Weschtschwiiz aber sind irne Obrigkäite treu plibe und händ sich sogar gäge di Uufschtändische uf s Schlachtfäld füere loo. I Sache Militäär händ d Puure kä Schangse gha. Si sind schnäll ufgribe woorde und ihri Aafüerer sind higerichtet woorde. Hunderti hät me mit empfindliche Puesse gschtrooft, anderi sind uf Galeere verchauft worde und iri Höf hät me verbrännt. Si händ au für di härrschaftliche Chriegschoste müese uufchoo, händ iri Waffe abgliferet, dezue iri Fääne und all schriftliche Dokumänt. Es isch vo dänn aa verbote gsi, über de Puurechrieg au nume z rede.

Und gnau i däre Ziit chunt e Frau z Fuess vo Freudeschtadt de Schwarzwald ab uf Schafuuse. Si fint Underschlupf im „Riihof“, läbt do, wont do, fallt nid wiiter uf.
Uusgrächnet Schafuuse, Schauplatz vo de früeschte bekannte Häxeprozäss. (1402)
Uusgrächnet Schafuuse, wo im 17. Joorhundert de Häxewahn de Gipfel erräicht hät.
Uusgrächnet Schafuuse, wos ringsume brodlet, sich d Landbevölkerig ufläänt gäge s Regimänt vo de Schtadt und di mächtige und korupte Zünft, und de Rueff noch Sälbschtbeschtimmig immer luuter wirt.

D Vermuetig liit nööch, das d Obrigkäit mit de verschärfte Verfolgig vo Persoone wos de Häxerei verdäächtiget händ- mit wenig Uusnaame Fraue – irne Undertaane händ welä zäige, dass si käi Verschtööss gäge di „gottgewollti“ Ornig wänd dulde.
Schnäll isch öpper verdäächtiget woorde, Vertüfele und Tummheit händ rasch zu Verhaftig und Verhöör gfüert.

Under em massiive Truck vo däne Verhöör händ d Fraue s Delikt vo de agäbliche Häxe, e Bezieig zum Tüüfel zueggee. Das de Hänker si vor em Verbränne uf em Schiiterhuufe erwürgt oder mit em Schwärt köpft hät, isch als Schtraaffmilderig und groossi Gnaad verschtande woorde.

Ortskund:
Riihof:  Z Schafuuse ghööred de „Riihof“, s “Ringkegässli“, d “Frauegass“ und d „Roosegass“ zum Quartier südlich vom Häreacker. I däre Gägend gits käi prunkvoli Zunfthüser und käi schmucki, mit Erke verzierti Protzbaute. Do isch under anderem au s „Badhuus“ gschtande.
Es „Badhuus“ isch es Bordell gsii, wo vom schtätische Hänker under emene Deckmantel gfüert woorde isch. Im Parterre häts Badwanne gha, und wiiter obe sind d Gliger iigrichtet gsi. Padet händs nie älei, es isch äbe nid nume um d Suuberkäit gange.

Dass d Anna Wirthin im „Riihof“ gläbt hät schtoot i de Protokoll. Au iri „Begnadigung“ – i irem Fall de Tood durs Schwärt und nid durs Füür isch e Taatsach.

Das si aber im „Badhuus“ gschaffet, und Häre us de bessere Gsellschaft bedient hät, isch räini Schpekulazioon.

D Fakte:
D Anna Würth, Wirth oder äbe Wirthin isch taatsächlich noch de Chroonik vo de Schtadt Schafuuse us Freudeschtadt cho.
Si hät im Riihof gläbt, wo zum Schafuuser „redlight district“ ghöört hät.
Si isch wäge verschidener Verbräche und Sünde aaklagt worde, alli äidütig em Hägsewärch zueghöörig.
Si isch, nochdäm si under de Folter iri Delikt gschtande hät, würklich „begnadigt“ woorde, nid em Tood durs Füür, sondern däm durs Schwärt zuegfüert z wäärde.

D Fiktioon:
Es isch aaznää aber nid bewise, dass d Anna Wirthin us wirtschaftliche Gründ südwärts gwanderet isch.
Es isch käis Verhältnis zum ene Gnäädige Här dokumäntiert.
Iri Bekannthäit i de Schtadt hät sich sicher i Gränze ghaalte. Um de Hägserei verdööchtiget z wäärde händ mängsmol Chliinigkäite oder Uffälligkeite im Uusgsee oder em Gang gnüegt.

Deutsch:

Schaffhausen, 1653

Der 30jährige Krieg ist seit 5 Jahren vorbei und damit auch der wirtschaftliche Hochflug unserer Region. Während des Dreissigjährigen Krieges (1618 – 1648), der vor allem in Deutschland wütete, konnten die Schweizer Bauern Korn und Vieh mit grossem Gewinn in die verwüsteten Gebiete verkaufen. In der nachfolgenden Friedenszeit fielen die Preise wieder, die Zinslasten für aufgenommenes Kapital blieben aber gleich. Am 2. Dezember 1652 wertete Bern den Kupferbatzen um 50 % ab. Die Obrigkeit setzte eine Frist von nur drei Tagen, um die Kupfermünzen zum alten Wechselkurs gegen stabilere Gold- oder Silbermünzen umzutauschen. Deshalb konnten nicht viele Leute von diesem Umtauschangebot Gebrauch machen. Viele Untertanen, insbesondere auf dem Land, verloren auf einen Schlag die Hälfte ihres Vermögens. Andere Orte der Eidgenossenschaft folgten dem Berner Beispiel und werteten ebenfalls ab. So kam es 1653 zu einem grossen Aufstand, dem Schweizerischen Bauernkrieg. Er begann im Entlebuch (LU), breitete sich bald auf das Bernbiet, den Aargau, das Solothurnische und das Baselbiet aus. Die Tagsatzung hingegen beschloss, den Forderungen der Bauern nicht nachzugeben.

In der Folge trafen sich Tausende von Bauern zu einer Landsgemeinde in Huttwil (BE). Die Bauern aus der Ost- und Westschweiz hingegen blieben ihren Obrigkeiten treu und liessen sich gar gegen die Aufständischen auf das Schlachtfeld führen. Militärisch hatten die Bauern keine Chance. Sie wurden schnell aufgerieben und ihre Anführer hingerichtet. Ihre Leichen liess man am Galgen verfaulen. Hunderte wurden mit Geldstrafen belegt, auf die Galeeren verkauft und ihre Höfe verbannt. Die Bauern mussten auch für die herrschaftlichen Kriegskosten aufkommen, mussten ihre Waffen abliefern, ihre Fahnen und alle schriftlichen Dokumente. Die Macht der Herren in den Städten nahm in der Folge noch zu. Auch war es fortan verboten, über den Bauernkrieg auch nur zu reden.

Die Schaffhauser Hexenprozesse sind die frühesten bekannten Hexenprozesse in der Schweiz und ereigneten sich im Jahr 1402. In den Unterlagen ist von einem „hegsen brand“, also einer Hexenverbrennung, die Rede. Es handelt sich um einen der frühesten Hexenprozesse in Mitteleuropa mit Todesurteil durch Verbrennen. Die Aufstellung im Stadtarchiv zeigt die einzelnen Beträge für den Henker, so zum Beispiel die Kosten für das “dürre Holz für den Hexenbrand“. Die Prozesse zogen sich drei Jahrhunderte hin. Im 17. Jahrhundert erlebte der Hexenwahn den absoluten Höhepunkt. Mit ein Grund könnte auch die Reaktion der Obrigkeit auf den Ruf nach Selbstbestimmung und die Auflehnung der Landbevölkerung gegen die Patrizier liegen. In Schaffhausen regierten die Zünfte. Diese hielten den Kreis der herrschenden Familien geschlossen. Im Gegensatz zu den Patrizierstädten liessen die Zunftstädte ihren Untertanen auch wirtschaftlich kaum Freiheiten, sondern erliessen strenge Richtlinien über die Organisation des ländlichen Handwerks.

Der Schluss liegt nahe, dass die Obrigkeit mit der verschärften Verfolgung von der Hexerei verdächtigter Personen (mit wenigen Ausnahmen alles Frauen) ihren Untertanen demonstrieren wollte, dass sie keinerlei Verstösse gegen die gottgewollte Ordnung duldete, als deren Garantin sie sich verstand.

Unter dem massiven Druck des Verhörs bekannten die Frauen das zentrale Delikt der angeblichen Hexen, eine Beziehung zum Teufel. Dass der Henker sie vor dem Verbrennen auf dem Scheiterhaufen erwürgte oder mit dem Schwert köpfte, wurde als Strafmilderung und Gnade verstanden.

Riihof:  In Schaffhausen gehören der „Rheinhof“ das “Ringkengässchen“ die “Frauengasse“ und die „Rosengasse“ zum Quartier südlich des Herrenackers. In dieser Gegend finden wir keine prunkvollen Zunfthäuser und keine schmucken, mit Erkern verzierten Protzbauten. Hier befand sich auch das sogenannte „Badhaus“. Das war der Ort für Männer die nicht „Siechs” werden wollten, was damals bedeutete zu wenig geschlechtliche Betätigung zu haben.
Das „Badhaus“ war ein Bordell, das vom Henker unter einem Deckmantel geführt wurde. Im Erdgeschoss hatte es Badewannen und im Obergeschoss wohl Liegestätten. Es wurde schon gebadet, mit musikalischer Begleitung, in grossen, runden Wannen, jedoch nie alleine und immer gut durchmischt. Dass Anna Wirthin im „Riihof“ lebte, ist in den Protokollen dokumentiert. Auch ihre „Begnadigung“, in ihrem Fall der Tod durch das Schwert und nicht der Scheiterhaufen ist Tatsache. Das sie aber im „Badhaus“ arbeitete und Herren der besseren Gesellschaft bediente, ist reine Spekulation.

Fakten:
Anna Würth, Wirth oder eben Wirthin kam gemäss der Chronik der Stadt Schaffhausen aus Freudenstadt.
Sie lebte im Rheinhof, der wirklich zum Schaffhauser „Redlight district“ gehörte.
Sie wurde verschiedener Delikte angeklagt, alle eindeutig dem Hexenwerk zugehörig.
Sie wurde, nachdem sie unter der Folter ihre Delikte gestanden hatte tatsächlich „begnadigt“; durch den Tod durch das Schwert und nicht durchs Feuer.

Fiktion:
Es ist anzunehmen aber nicht bewiesen, dass Anna Wirthin aus wirtschaftlichen Gründen nach Süden wanderte.
Es ist kein Verhältnis zu einem der Gnädigen Herrn bekannt.
Ihre Bekanntheit in der Stadt hielt sich wohl in Grenzen. Um der Hexerei verdächtigt zu werden genügten oft Kleinigkeiten oder körperliche Auffälligkeiten.

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Ich habe für dieses Lied lange in Büchern und Archiven recherchiert. Der Anspruch ist, neben Liedern auch Geschichten zur Geschichte zu erzählen, Unbekanntes aus unserer Umgebung zu zeigen.

Ausgangspunkt war eine kurze Zeitungsnotiz über den Rheinhof. Die Zeilen haben mich sehr angesprochen, ich lebe schliesslich in direkter Umgebung von „Schleipfgässli, „Chöpferplatz“, „Radacker“ und „Galgenbuck“.

Lieder über diese schreckliche Zeit sind mir aus der Schweiz nicht bekannt. Dem wollte ich Abhilfe schaffen. Es ist dann viel mehr daraus geworden, man könnte eine ganze Geschichtsschulstunde daraus machen, einen ganzen Morgen oder sogar ein Buch darüber schreiben ……

© Christoph Bürgin, pomeranzenmusik.ch

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