LiederLobby – Die Bremer Stadtmusikanten zauberhaft entzaubert – eine Rezension von Alva Liv
Einmal zieht es ihn nach Süden, mit dem Nachtzug nach Lecce, einmal nach Norden, an den Bremer Hafen. Im Song «Häimat» bringt er es gleich selber auf den Punkt: «Immer wider furt goo, immer wider hei choo». Und, so singt der baldige Pensionär weiter, er habe noch lange nicht genug davon und er schlage sich dabei immer wieder neu die Nase an.
Dass Christoph Bürgin ein Jäger ist, der sich auch als «Alter Mann», wie er sich in einem seiner Lieder selber bezeichnet, ständig weiterentwickelt auf der Jagd nach guten Liedern, hört man seinem neuen Album an. Es kommt musikalisch knackig daher, kompakt und sorgfältig getextet. Bürgi ist inzwischen Mitglied der Liedermacherschule SAGO, Christof Stählins «Mainzer Akademie für Poesie und Musik», die nach Stählins Tod (2015) die Berliner Kollegen Martin Betz und Matthias Binner leiten. Und so präsentiert Bürgin auf «Jäger und Sammler» auch gleich zwei SAGO-Jahresaufgaben. Werksongs, die den Werkstatt-Charakter durchaus auch noch vermitteln. Was kein Makel ist, denn wer nach Neuem jagt, probiert aus, gestaltet, schichtet und riskiert. «Kunscht isch gäng es Risiko», sagte ja kein Geringerer als Mani Matter.
Seine grösste Stärke hat Bürgin wohl als Sammler. Denn auch auf seinem neuesten Album besingt der Schaffhauser Dialekt-Chansonnier wiederum historische Begebenheiten. Die Bombardierung seiner Stadt etwa, am 1. April 1944, fein recherchiert, in Zusammenarbeit mit einem Zeitzeugen. Und dass Bürgin dabei nicht einfach von Schaffhausen spricht, sondern, in einem Dieter Wiesmann-Zitat, von «Bloss e chlini Stadt», berührt. Und erinnert uns unvermittelt an unsere Verletzlichkeit.
Mit der «Freccia dalle Pulie» (Pfeil von Apulien) nimmt Christoph Bürgin uns nochmals in den Zug mit, mit dem damals die Italienischen Gastarbeiter weit in den Süden und wieder zurückreisten. Ob wir es noch erlebt haben oder erst später zur Welt gekommen sind, diesen Zug möchten wir, nach dem Genuss dieses Chansons, keinesfalls verpassen, egal ob als Fahrt durch die Schweizer Geschichte oder als Metapher der Sehnsucht.
Als Lieder-Sammler profiliert sich der gelernte Verlags- und Sortimentsbuchhändler auch bei der Bearbeitung zweier Lieder des Schwedischen Komponisten und «Nationaldichters» Carl Michael Bellman (1740 – 1795), der nicht zuletzt auch Chanson-Grössen wie Hannes Wader oder Fritz Widmer-Hesse zu Bearbeitungen inspiriert hat.
30. Dezember 2021 @ 15:10
Lieber Christoph
Ich nutze jeweils den Dezember (Advent heisst bekanntlich ja Ankommen) um ein wenig runterzufahren, Weihnachtspost zu erledigen usw. Zwar hat mich diesmal eine Grippe flachgelegt, aber auch dies zwingt ja zum Ruhen. Ich hab die Zeit auch genutzt, um neben dem Lesen auch Musik zu hören. Selbstverständlich auch dein Werk, mit den Geschichten, die das Leben schreibt, sehr beeindruckt. Hab übrigens grad eine CD an Kollege Erwin Küenzi (Radio Munot, Magical Mistery Tour) geschickt mit dem Hinweis auf Lied Nummer 10 😉
Ich wünsch dir alles Gute auch für deine Pensionierung und einen guten Rutsch ins neue Jahr mit weiterhin guten Einfällen beim Jagen und Sammeln. Mark Schiesser